Montag, 26. Dezember 2005 (2. Weihnachtstag):  Ein ereignisreicher Tag auf dem Inle-See ...
 
Ich habe gut geschlafen und fühle mich wie neu geboren. Das Frühstück ist spärlicher als in Rangoon: kein Buffet, aber es reicht. Man merkt halt schon, dass man hier in der Provinz ist. Das Boot steht bereit und der Fahrer spricht kein Wort Englisch! Gut, dass ich eine Karte vom See habe und die Ortsnamen richtig aussprechen kann. So versteht er wenigstens, wohin er mich bringen soll. In Gedanken leiste ich Herrn U Than Win Abbitte wegen seiner schlechten Englischkenntnisse, war er es doch, der mich in Rangoon in die Geheimnisse der Aussprache burmesischer Ortsnamen eingeweiht hatte. Das Wetter ist nach wie vor nicht optimal: es ist kühl und der Himmel verhangen - schlechtes Fotolicht, wenig Kontrast.
 
Der Inle-See ist eigentlich eine amphibische Landschaft, vielleicht am ehesten vergleichbar mit den Backwaters im südindischen Kerala. Der offene See macht nur einen Bruchteil der Gesamtfläche aus. Die Orte liegen meist im Bereich der Uferzone, und dort gibt es auch am meisten zu sehen.
Zuerst geht es nach Ywama. Dort möchte ich eigentlich zum schwimmenden Markt, aber der Bootsführer versucht es erst einmal mit einem Geschäft für Silberwaren. Die Masche kenne ich doch noch aus Indien! Ich mache ihm klar: keine Geschäfte! Ywama ist ein Ort, der auf Pfählen in das Wasser des Sees gebaut ist - quasi ein burmesisches Venedig. Mit dem Markt wird es nichts mehr, aber das ist zu verschmerzen. Der nächste Punkt ist das Kloster Nga Hpe. Sehr touristisch, gilt es als Höhepunkt einer Rundfahrt auf dem Inle-See. Aber bei meiner Ankunft ist außer mir nur eine handvoll Touristen dort. Dennoch - die prall gefüllten Andenkenstände hinter dem Kloster sprechen eine deutliche Sprache.
 
Das Kloster ist bei den Touristen vor allem wegen der dressierten Katzen beliebt, und tatsächlich sitzt ein Mönch wie bestellt in einer Ecke und lässt sie 'bei Bedarf' zwei, drei Mal durch einen Reifen springen, ähnlich wie ein Löwe im Zirkus. Interessanter als die Katzen ist aber der reiche Skulpturenschmuck in der Haupthalle des Klosters. Insgesamt ist der Aufenthalt in Nga Hpe sehr angenehm: die Souvenirhändler sind freundlich und kein bisschen aufdringlich und die Kinder noch zurückhaltend.
  
   
In den schwimmenden Gärten ist nicht viel los. Man sieht ausgedehnte Gemüsebeete, aber kaum jemanden, der dort arbeitet. Dafür sieht man vereinzelt Männer, die die zugewachsenen Kanäle zwischen den Pflanzungen vom Wildwuchs der Wasserpflanzen freihalten. Auch die berühmten Beinruderer tauchen hin und wieder auf. Die meisten hocken sich aber gleich nieder, sobald sich ein anderes Boot nähert - erste Hinweise darauf, dass der Tourismus auch hier seine Unschuld längst eingebüßt hat.
 
Weiter geht es durch ein Labyrinth enger Kanäle landeinwärts, weg von der Mitte des Sees. Am Anleger von Indein schwant mir Schlimmes, als ich eine lange Reihe von Souvenirständen erblicke, die den Weg zum Dorf säumen. Aber es kommt nicht so schlimm wie befürchtet. Der Touristenkram beschränkt sich wirklich nur auf die unmittelbare Umgebung des Anlegestegs und den endlos langen gedeckten Aufgang zur örtlichen Pagode. Dort allerdings könnten die Stände Tausende von Touristen gleichzeitig mit allerlei Schnickschnack versorgen. Es ist aber nichts los.
    
Ich schlage mich in die Seitenwege und treffe auf ein kleines, abgelegenes Kloster. Dort sitzt ein einzelner Mönch mit vier Novizen (Kindern mehr oder weniger) beim Mittagessen und lädt mich zu Bananen und Tee ein. Ich nehme dankend an und so kommen wir ins Gespräch. Er ist der einzige Mönch des kleinen Klosters, und außer ihm leben dort nur die halbwüchsigen Novizen. Die Kinder stammen aus weit entfernten Dörfern und sind der Obhut des Klosters anvertraut, wo sie unter anderem auch lesen und schreiben lernen.
  
Die Pagode von Indein ist nicht halb so imposant, wie der endlos lange Säulenaufgang vermuten ließe. Aber sie liegt inmitten eines ausgedehnten Ruinenfeldes, das voller verfallener Stupas ist, die bis zu 400 Jahre alt sein sollen, wie mir der Mönch des kleinen Klosters erklärt hat. Das allein ist schon einen Besuch wert, aber auch das Dorf hat noch viel ursprüngliches Lokalkolorit zu bieten, solange man die Touristenstrecke links liegen lässt. Die Leute sind unbefangen und beachten einen kaum - ein gutes Zeichen. Fragt sich nur, wie lange noch ...
 
Die Phaung Daw Pagode sieht aus, als sei sie erst vor kurzem gebaut worden. Gewaltig schon, aber insgesamt doch etwas enttäuschend. Überdies öffnet der Himmel gerade jetzt seine Schleusen und ein gewaltiger Wolkenbruch geht nieder. Hinter der Pagode liegt ein Souvenirmarkt, aber es sind so gut wie keine Touristen da. Ich beschließe, einen Rundgang durch das Dorf zu machen. Da der Kamera-Akku soeben seinen Geist aufgegeben hat, wird das Auge zur Kamera. Die Häuser sind allesamt aus Holz und stehen auf Pfählen im Wasser. Praktisch für das Abwasser, das einfach aus dem Boden rieselt. Für die Versorgung der Menschen mit Frischwasser verfügt der Ort über große Hochtanks. Woher deren Wasser allerdings kommt, bleibt ein Geheimnis. Alle Häuser sind mit Strom versorgt, zum Teil sieht man sogar Satellitenantennen. Da prallen 'Mittelalter' und Moderne aufeinander.
 
Genauso ist es in den Werkstätten von Inn Paw Khone und Nam Pan: Weberhäuser, Schmieden und Zigarrenfabriken mit Arbeitsbedingungen, wie im Europa des 19. Jahrhunderts. Schon die Kinder helfen mit bei der Arbeit, und damit ist deren weitere 'Karriere' schon vorgezeichnet. Man sollte das einmal den gelangweilten und konsumübersättigten Jugendlichen in Europa zeigen, damit sie verstehen, warum eine gute Ausbildung so wichtig ist ...
 
Um halb fünf bin ich zurück im Hotel. Als das Boot in die Lagune einfährt, steht das Hotelpersonal am Empfang und spielt mit Instrumenten zur Begrüßung auf. Eine Dame bringt den Zimmerschlüssel und eine Tasse Tee auf einem Tablett ans Boot ...
    

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