Dienstag, 3. Januar 2006:  Ein buddhistisches Begräbnis und eine Stadt voller Atmosphäre ...
 
Eine Stunde nach dem Abendessen wird mir schlecht - allergische Reaktion oder war es das Essen selbst? Ich mache mich auf eine unruhige Nacht gefasst, schlafe dann aber doch schnell ein und fühle mich morgens ausgeruht. Wahrscheinlich doch nur eine leichte 'Magenverstimmung', denn es rumort noch leicht im Bauch - nichts Aufregendes nach 12 Tagen. Das Hotel ist noch ganz still. Um sechs bin ich der Einzige beim Frühstück. Eine Viertelstunde später sind dann auch die Neurussen da und schon wird es laut. Um halb sieben sollte das Auto da sein, ist es aber nicht. Etwa 15 Minuten vergehen, bis es kommt. Ich vermute, der Fahrer hat einfach verschlafen, denn das Hotel musste ihn anrufen. Es macht aber nichts, denn bis zum Flughafen sind es nur wenig mehr als 10 Minuten. Bagan Airport ist ziemlich neu, ähnelt mehr einem Tempel als einem Terminal und ist ungewöhnlich sauber. Es ist viel los. Mehrere Busse mit Japanern kommen gleichzeitig mit mir an. Dennoch verläuft das Einchecken reibungslos und dauert nur etwa 10 Minuten. Es gehen drei Flüge kurz nacheinander und es sind die ersten am Morgen. Das erklärt das große Gedränge. Der Aufruf der einzelnen Flüge klappt aber perfekt. Ein Mann stellt sich jeweils mit einem großen Schild, auf dem Airline und Flugnummer notiert sind, an den Ausgang und schreit laut das Ziel des Fluges - natürlich in der Landessprache!
     
Die Maschine der Air Mandalay ist diesmal größer als die bisherigen und leider auch enger bestuhlt. Aber ich habe Glück und eine Doppelsitzreihe für mich allein. Da kann ich mich schräg setzen und habe es leidlich bequem. Bagan hat eine lange Startbahn, die wir zunächst entlang rollen, bevor die Maschine zum Start wendet. Wenig später hebt die ATR-72 ab und ich genieße im Licht der aufgehenden Sonne einen letzten phantastischen Blick auf die zahllosen Tempel und Stupas und auf das blaue, sich schlängelnde Band des Ayeyarwaddy. Anders als beim Flug von Yangon nach Heho ist heute die Sicht gut. Unter mir breitet sich ein Flickenteppich aus gelben, braunen und grünen Rechtecken aus. Obwohl Myanmar ein stark landwirtschaftlich orientiertes Land ist, wird nur ein Bruchteil der Fläche für den Ackerbau genutzt. Weite Teile des Landes liegen brach und dienen allenfalls als Weidegrund für Rinder und Ziegen. Von Zeit zu Zeit sieht man die breiten, gelben Bänder der Flussbetten, die jetzt, in der kühlen Jahreszeit, ausgetrocknet daliegen. Auf meiner Fahrt gestern habe ich mehrere dieser Flüsse durchquert, wobei die Straße jeweils für kurze Zeit zur Sandpiste wurde.
    
An Bord gibt es einen kleinen Imbiss, ein mit Wurst belegtes süßes Croissant - eine etwas gewöhnungsbedürftige Kombination. Beim Anflug auf Yangon geht der Pilot in einen regelrechten Sturzflug über und die Maschine beginnt kurz vor dem Aufsetzen mächtig zu schlingern. Aber alles geht gut und wir kommen pünktlich auf die Minute an. Kaum sind wir gelandet, hebt von der parallelen Startbahn eine hochmoderne himmelblaue (!) MIG (vergleichbar der amerikanischen F16) ab, gefolgt von zwei weiteren Maschinen russischer Bauart, die aber ganz offensichtlich älteren Datums sind.
    
Mein Wagen steht wie immer vor der Tür des Flughafengebäudes, und Herr U Than Win kommt mir vor wie ein alter Bekannter. Ich fahre kurz ins Hotel und beziehe mein Zimmer. Im Park vis-à-vis sind schon die Fahnen gesteckt, und die Tribünen für den Festakt zum morgigen Unabhängigkeitstag werden aufgebaut, streng bewacht von Soldaten, wohl damit niemand heimlich den Stuhl des 'Präsidenten' ansägt. Soviel zum Thema 'Das Volk und das Militär sind in Einigkeit verbunden' ... Während des Festaktes werden alle umliegenden Straßen ab 9 Uhr morgens für 24 Stunden gesperrt. Auch die, an der mein Hotel liegt. Nur werde ich vorher, um acht, in Richtung Bago und zum 'Goldenen Felsen' aufbrechen und somit von dem ganzen Rummel nichts mitbekommen - glaube ich!
   
Zunächst steht aber noch ein halbtägiger Ausflug in die Umgebung von Yangon auf meinem Programm. Im stop-and-go Verkehr geht es aus der Stadt. Auf der großem Brücke über den Pazundaung Creek, der längsten in Myanmar, steht ein Tankwagen mit Wasser, und eine Kolonne von Männern und Frauen wäscht Geländer und Bordstein der Brücke, Meter für Meter! Jenseits der Brücke dann eine Militärkontrolle und mein Fahrer muss seine Lizenz vorlegen. Auch wird er befragt, woher ich komme und wohin ich will. Hier in der Umgebung von Yangon sind Polizei und Militär viel stärker präsent als sonstwo im Lande. Man spürt die Nähe der Regierung.
    
Die Pagode von Thanlyin wird in Büchern oft mit der Shwedagon Pagode verglichen, bietet aber eigentlich nicht viel Aufregendes. Nach all dem, was ich schon gesehen habe, dürfte es schwierig sein, noch echte Höhepunkte zu erleben - glaube ich. Inzwischen ist es Mittag, und die Hitze ist beträchtlich. Ich ziehe mich auf eine schattige Bank zurück, schreibe ein wenig und beobachte die wenigen Menschen auf dem oberen Plateau der Pagode. Dabei bestätigt sich erneut, was mir schon zuvor wiederholt aufgefallen ist: die Männer in diesem Land sind allesamt gertenschlank, während es bei den Frauen, vor allem bei den älteren, durchaus dickliche gibt.
Plötzlich tauchen ganze Heerscharen von Kindern auf. Offenbar haben sie Schulschluss und morgen ist ohnehin wegen des Feiertags keine Schule. Die Kinder tragen hier alle Schuluniform: weiße Hemden und ein grüner Longyi für die Jungen bzw. ein langer grüner Rock für die Mädchen. Auch die Lehrer sind genauso gekleidet und deshalb immer leicht zu erkennen.
   
Auf dem Weg nach Kyauktan überholen wir einen Trauerzug. Wir stoppen wenige hundert Meter weiter an einem Friedhof. Dort sieht man Steinsarkophage, die blau angestrichen sind. Manche der Toten werden über der Erde in ihnen beigesetzt. Ich bemerke einen, der teilweise zerbrochen ist und in dem die Knochen des Toten freiliegen. Möglicherweise war da ein Tier am Werk. Andere Verstorbene sind in der Erde beigesetzt, und die Grabstellen sind nur durch kleine Holzpflöcke gekennzeichnet. Wahrscheinlich ist die Art der Bestattung eine Frage des Geldes ...
   
Inzwischen ist die Trauergesellschaft, die wir zuvor überholt hatten, eingetroffen, und ich werde Zeuge einer buddhistischen Beerdigung auf dem Lande. Wie mir der Fahrer später erzählt, hat die Tote zuvor schon drei Tage lang im geschlossenen Sarg hinter dem Haus der Familie aufgebahrt gestanden. Er sagt, das sei vor allem im Sommer wegen der großen Hitze eine ziemlich geruchsintensive Angelegenheit. Angesichts der heutigen Temperaturen, die nahe an die 30 Grad reichen, kann ich mir kaum vorstellen, dass es im Winter anders ist.
Jetzt vollführen die Träger, die den Sarg auf ihren Schultern balancieren, einen eigenartigen 'Tanz' vor dem offenen Grab, bei dem sie sich drei Mal im Kreis drehen. Dabei wird der violett angemalte Sarg ganz schön hin- und hergeschüttelt, aber das scheint niemanden zu stören. Anschließend wird der Sarg über dem Grab abgesetzt und der Deckel geöffnet. Die Tote ist wie ein Kleinkind eng in Decken eingewickelt und nur das Gesicht liegt frei, das jetzt von einem der Träger mit Wasser übergossen wird. Die Tote ist nicht hergerichtet. Das Gesicht hat bereits eine aschgraue Farbe angenommen, und Mund und Augen stehen offen. Ich halte mich etwas im Hintergrund, aber dann kommt plötzlich ein Mann zu mir, spricht mich an und schiebt mich durch die Menge der Leute bis unmittelbar an das Grab. Er gibt mir zu verstehen, dass ich ruhig fotografieren dürfe, was mir zunächst etwas merkwürdig vorkommt. Aber dann lasse ich mir die Gelegenheit doch nicht entgehen, das Begräbnis im Bild zu dokumentieren.
     
In diesem Moment bahnt sich eine junge Frau schreiend den Weg durch die Menge und versucht, sich in das Grab und auf den Sarg zu stürzen. Die ganze Situation scheint zu eskalieren, und zwei Männer können sie nur mit äußerster Kraftanstrengung zurückhalten, während nun schnell der Sargdeckel geschlossen und der Sarg in das Grab abgesenkt wird, das nur etwa einen bis anderthalb Meter tief ausgehoben ist. Sofort beginnen alle Anwesenden, das Grab mit den bloßen Händen zuzuschaufeln. Auch ich werde aufgefordert, mich daran zu beteiligen. Ich pflücke aber statt dessen ein paar Wildblumen, von denen es hier reichlich gibt, und werfe sie auf den Sarg, der jetzt schon fast vollständig mit Erde bedeckt ist. Ich erkläre dem Mann, der mich zuvor nach vorne durchgeschoben hat, dass man das in Europa so macht, und mir scheint, dass er es den anderen Trauergästen erklärt, denn sie nicken mir freundlich zu. Während ein Mann mit einer Hacke das Grab endgültig zuschaufelt, machen sich alle wieder auf den Weg, und nach 10 Minuten ist der ganze 'Spuk' vorbei. Angehörige und Freunde werden in sechs Tagen ein letztes Mal zum Grab zurückkehren ...
     
Kyauktan ist ein wunderbarer Ort, um das ganz alltägliche Leben zu beobachten. Auf den Straßen ist überall etwas los, und es geht recht geschäftig zu. Am Flussufer steht eine lange Reihe von Pfahlbauten, und man kann leicht erkennen, wie hoch das Wasser in der Regenzeit steigt. Der Tempel auf der Insel im Fluss ist dagegen nicht sonderlich interessant. Die Überfahrt kostet für Touristen sage und schreibe 2000 Kyat,  und dann wird noch einmal eine 'donation' (ein verdecktes Eintrittsgeld) von einem US-Dollar fällig. Ich bin wirklich verärgert und mache der Dame am Eingang klar, dass eine Spende (donation) immer ein Akt der Freiwilligkeit ist und dass sie dagegen ein Eintrittsgeld kassiert. Das bringt sie nur für einen kurzen Moment aus der Fassung, aber dann zögert sie doch nicht, das Geld mit dem freundlichsten Lächeln, das man sich vorstellen kann, zu kassieren.
    
Zurück in Yangon kaufe ich noch schnell eine kleine Reisetasche in der Chinatown, da ich morgen den großen Koffer nicht zum 'Goldenen Felsen' mitnehmen möchte. Danach geht es zurück ins Hotel, wo eine angenehme Dusche auf mich wartet. Der Nachmittag war fast unerträglich heiß mit Temperaturen um die 34 Grad im Schatten. Zum Abendessen gehe ich in ein Restaurant nur ein paar Schritte vom Hotel entfernt. Man isst hier besser und auf alle Fälle viel preiswerter als im Hotel. Was mich besonders beeindruckt, ist die Freundlichkeit und der perfekte Service der Kellner, die einem selbstverständlich beim Betreten und Verlassen des Restaurants die Tür öffnen, zügig bedienen und immer wieder nachfragen, ob man noch einen Wunsch hat.
Nach dem Abendessen erkundige ich mich noch schnell an der Hotelrezeption, wie es morgen mit der Straßensperrung zum Unabhängigkeitstag wird. Die freundliche Dame beruhigt mich und sagt, das Viertel um den 'People's Park' werde erst ab 9 Uhr gesperrt, es sei also Zeit genug, um in Ruhe zum 'Goldenen Felsen' aufbrechen zu können. Ich bestelle also meinen Fahrer zu 8 Uhr und sehe noch ein bisschen fern.
   
Die Deutsche Welle berichtet, dass in Bayern das Dach einer Sporthalle eingestürzt ist. Tote und Verletzte. Irgendwie kommt mir das ganz unwirklich, weit entfernt und unwichtig vor. Es ist für mich faszinierend zu erleben, wie man den Lauf der Dinge von der anderen Seite der Welt wahrnimmt und wie sich dadurch Vieles, das wir für wichtig halten, relativiert. Meistens ist es ja umgekehrt, und wir erfahren durch das Fernsehen von den zahlreichen Katastrophen in Asien, die man sich dennoch nicht wirklich vorstellen kann, auch wenn man die Bilder sieht ...
   

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