Mittwoch, 4. Januar 2006:  Eine ganz und gar abenteuerliche Fahrt auf einem LKW ...
 
Morgens um fünf werde ich durch lautes Rufen und die Geräusche an- und abfahrender Autos geweckt. Im Park gegenüber wird mit den Vorbereitungen für den Festakt zum Unabhängigkeitstag begonnen. Als ich um viertel vor acht das Hotel verlasse, gehen schon ganze Hundertschaften von Schülern und Leute mit Fahnen die Straße entlang zum Park, wo die Zeremonie um neun mit dem Einholen der englischen und dem Hissen der burmesischen Flagge beginnen soll. Mein Fahrer hat seinen 17-jährigen Sohn mitgebracht, der wie 14 aussieht. Da heute keine Schule ist, möchte er ihn mitnehmen, damit er einmal den 'Goldenen Felsen' sehen kann. Es erstaunt mich anfangs ein wenig, dass er mich nicht um Erlaubnis gefragt hat, denn schließlich bin ich ein zahlender Kunde, aber der Junge macht einen netten Eindruck und stört überhaupt nicht. Also sehe ich auch keinen Grund, ihn nicht mitfahren zu lassen. Er spricht kein Wort Englisch, obwohl er in einem Jahr die Schule abschließen wird und dann Maschinenbau studieren soll. Sein Vater klagt über die miserablen Schulen im Land, die den Kindern nichts beibringen.
   
Zunächst geht es aus der Stadt hinaus. An jeder Kreuzung steht heute ein Polizist in blütenweißer Uniform und regelt den Verkehr mit einer grünen Fahne. Die Straße ist gut und wie alle Fernstraßen in Myanmar gebührenpflichtig. An den Mautstellen fährt man im Schritttempo vorbei und hält das Geld aus dem Fenster. Die Mauteintreiber laufen dann ein paar Schritte neben dem Auto her, während sie das Wechselgeld zurückgeben. Manchmal wird diese Arbeit auch von Kindern erledigt, die damit etwas Geld verdienen.
  
Nach einer halben Stunde kommen wir an den Soldatenfriedhof von Htaukkyant. Auf dem tiptop gepflegten Friedhof liegen 27,000 alliierte Soldaten aus dem 2. Weltkrieg.
  
Wenig später begegnen wir erneut einem Trauerzug. Diesmal wird der Sarg unter einem geschmückten Baldachin getragen. Der Fahrer sagt, der Verstorbene sei ein 55-jähriger Mann, wogegen die Frau bei der gestrigen Beerdigung schon 85 gewesen sei. Weiß der Himmel, woran er das erkennt.
   
Bago ist eine quirlige Stadt, aber wir 'streifen' sie nur, da ich morgen auf der Rückfahrt dort halten möchte.  Plötzlich liegt der widerliche Gestank von Trockenfisch in der Luft. Entlang der Straße reihen sich zahllose Stände, an denen der Fisch entweder auf großen Tischen ausgelegt oder an langen Stangen aufgehängt ist. Ich schaue mir das genauer an (wobei ich tiefes Einatmen tunlichst zu vermeiden suche!) und finde, dass es mindestens genau so eklig aussieht wie es riecht. Ein Bus mit einer Reisegruppe hält an: GeBeCo -  ein deutsches Unternehmen. Ich bin mir fast sicher, das ich die heute Abend in meinem Hotel wiedersehen werde.
     
Wir machen eine kurze Pause in einem Café. Ein Junge mit einem Käfig voller Singvögel kommt zu mir und möchte, dass ich einen 'freikaufe'. Das soll Glück bringen. Ich winke ab und schaue lieber den Männern zu, die am Kanal große Säcke mit Reismehl auf schmale Kähne verladen, wobei sie bis zu den Knien im Wasser stehen.
Weiter geht es durch eine Landschaft mit Reis- und Kohlfeldern, durch lichte Palmenhaine und Kautschukplantagen hinauf in die Berge. Diese liebliche Landschaft erinnert mich an die West-Ghats in Südindien. In den kleinen Orten pulsiert das Leben; viele Häuser sind heute aus Anlass des Nationalfeiertags mit bunten Fähnchen in den Landesfarben geschmückt.
   
Um halb eins sind wir in Kinpun. Von hier aus ist die Weiterfahrt mit dem privaten PKW nicht mehr erlaubt. Alle müssen auf den 'öffentlichen Nahverkehr' umsteigen. Wahrscheinlich steckt eine Art lokaler 'Mafia' dahinter, denn es gibt eigentlich keinen plausiblen Grund für das Verbot. Die Weiterfahrt erfolgt auf der Ladefläche großer LKWs. Dort werden die Leute dicht an dicht wie Vieh zusammengequetscht, und die Fahrt geht erst los, wenn auch der letzte Millimeter Raum genutzt ist. Ich bin froh, dass ich gestern in Rangoon noch eine Mini-Reisetasche gekauft habe. Mit dem großen Koffer wäre das heute unmöglich gewesen.
   
Die Fahrt geht in halsbrecherischem Tempo durch eine phantastische Berglandschaft. Die Straße wird von riesigen Bambusbüschen, Bananenstauden und allerlei anderen exotischen Gewächsen gesäumt. Der Fahrer fährt wie ein Besessener, aber die Leute tragen es mit dem den meisten Asiaten eigenen Gleichmut. Vermutlich sind sie nichts anderes gewöhnt. In Myanmar werden 90 % des öffentlichen Verkehrs auf diese Weise abgewickelt. Der Motor heult und überdreht im 1. Gang, dass man meinen möchte, er wolle jeden Moment explodieren. Nach einstündiger Fahrt, bei der man mächtig durchgeschüttelt wird (Gott-sei-Dank ist wenigstens das Wetter herrlich!), erreichen wir Yathetaung. Über eine wacklige Treppe steigen wir von der Ladefläche des LKW und ich mache mich auf den Weg zum Hotel, das nur 10 Gehminuten vom 'Busbahnhof' entfernt ist. Der Sohn meines Fahrers, der mich bis hierher begleitet und (gegen meinen Widerstand und wahrscheinlich auf Geheiß seines Vaters) meine Reisetasche getragen hat, geht trotz der mittlerweile herrschenden Hitze direkt weiter zum 'Goldenen Felsen', da er noch am gleichen Nachmittag nach Kinpun zurück will.
    
Das Golden Rock Hotel macht einen viel besseren Eindruck als erwartet. Das Zimmer ist geräumig und ordentlich, und warmes Wasser gibt es auch. Das entspricht so gar nicht der Beschreibung des deutschen Ehepaars, das ich in Mandalay kennen gelernt hatte.
Um drei mache ich mich auf den Weg zum 'Goldenen Felsen'. Obwohl es nicht annähernd so heiß ist wie gestern, läuft der Schweiß in Strömen. Die Strecke ist anfangs ziemlich steil, und manche Leute (darunter auch eine komplette deutsche Studiosus-Gruppe!) lassen sich in Sänften hinauftragen. Es tröstet mich ein wenig, dass die einheimischen Träger, die ja ganz andere Temperaturen gewöhnt sind, ebenfalls aussehen, als seien sie aus dem Wasser gezogen.
   
Auf halber Strecke merke ich, dass mein Zuckerspiegel plötzlich rapide absackt. An ein Weitergehen ist nicht mehr zu denken, und ich muss mich erst einmal in den Schatten setzen, so sehr zittern mir die Knie. Glücklicherweise habe ich meine 'Notkekse' und eine Flasche Wasser dabei. Nach einer kurzen Pause, in der ich mich etwas stärke, fühle ich mich wieder besser und erreiche den Gipfel in guter Verfassung.
   
Das Plateau um den 'Goldenen Felsen' ist ein Sammelbecken für Pilger, Neugierige, windige Typen, Geschäftemacher, Gruppenreisende und Individualtouristen wie ich. Fast interessanter als der Fels selbst ist es, die Leute hier zu beobachten. Unterhalb des Felsens haben 'gewerbliche' Fotografen Stellung bezogen und lichten jeden ab, der bezahlen will oder kann. Da das Licht ungünstig steht, verwenden sie mit Aluminium beschlagene Holzplatten als Spiegel und lenken das Sonnenlicht damit auf die Leute. Das alles erinnert mich ein wenig an die Grabwächter im ägyptischen Tal der Könige, die früher die Gräber mit der gleichen Technik auszuleuchten pflegten. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, mache ich mich auf den Rückweg, was eine vergleichsweise leichte Angelegenheit ist. Eine heiße Dusche macht dann aus einem 'Schwarzfußindianer' ('No footwear on the pagoda!') wieder einen normalen Menschen.
     
Das Abendessen ist sehr gut und vor allem reichhaltig. Ich bin um sieben der Erste im gemütlichen Hotelrestaurant. Sechs (!) Kellner kümmern sich um mich. Das Personal ist hier mit Abstand das freundlichste bisher. Als der Kellner mir ein Bier in gut englischer Manier (ohne Schaum) eingießen will, packt mich ein ganz untypischer Ehrgeiz und ich zeige ihm, wie man das bei uns macht. Im Nu stehen alle sechs neugierig und staunend um meinen Tisch herum. Ich hätte das allerdings nie gemacht, wären wir nicht unter uns gewesen.
Als dann später wie voraus gesagt die GeBeCo-Gruppe zum Essen eintrifft, probiert der eine oder andere das neu erworbene Wissen gleich aus - mehr oder minder erfolgreich.
    
Es ist wieder einmal interessant, die Leute im Restaurant beim Abendessen zu beobachte. Außer mir sitzen noch einige Ehepaare, der Sprache nach Franzosen und Engländer, an den Nachbartischen. Sie haben alle ihre einheimischen Guides dabei, die sämtliche Angelegenheiten für sie erledigen. Selbst um das Bestellen der Speisen und Getränke kümmern sie sich. So etwas nenne ich perfekte Rundumversorgung - nicht mein Fall.
Leider sind es wieder einmal die Deutschen, die ob ihrer langen Gesichter und Pingeligkeit ('Sofort alle Fenster schließen - es zieht!') auffallen. Ich beobachte mehrere Leute in der Gruppe, die den Kellnern die Servietten ungeduldig aus den Händen reißen, als sie diese den Gästen, wie hier allgemein üblich, über den Schoß breiten wollen. Da fehlen einem die Worte.
In meinem Zimmer montiere ich später mein Moskitonetz, das mir auf meinen bisherigen Reisen immer treue Dienste geleistet hat, und hoffe auf eine ruhige Nacht ...
     

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